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Der
Zweite Weltkrieg und die Folgen
Der
vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg
hat rund sechzig Millionen Menschen - entweder in militärischen
Kampfhandlungen oder als Zivilisten - das Leben gekostet.
Unter
den Toten waren, neueren Berechnungen zufolge, über
25 Millionen Sowjetbürger sowie etwa sechs Millionen
Juden (darunter rund eine Million aus der Sowjetunion),
die dem industriellen Massenmord in den Konzentrationslagern
oder den Mordaktionen der Polizeibataillone und der Einsatzgruppen
der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS
in Osteuropa zum Opfer gefallen sind. |
Vgl.
Benz, Wolfgang/Graml/Hermann/Weiß, Hermann (Hrsg.):
Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München
1998, S. 55; Bonwetsch, Bernd: Die Sowjetunion im Zweiten
Weltkrieg: der Große Vaterländische
Krieg. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung
2005.
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Das
Gedenken an die Millionen Opfer, die infolge der nationalsozialistischen
Herrschaft, ihrer Rassenideologie, ihres Expansionsdrangs und
ihres Vernichtungskrieges im Osten umgekommen sind, ist in Deutschland
- auch für die Nachgeborenen, die selbst keine Schuld an
den NS-Verbrechen tragen - eine bleibende moralische Aufgabe.
Vor
diesem Hintergrund und sechzig Jahre nach der historischen Zäsur
von 1945, in denen sich die Mehrheit der Deutschen intensiv
mit diesem Teil unserer Geschichte auseinandergesetzt hat, geraten
zunehmend auch die deutschen Opfer dieses verheerenden Krieges
in den Blick.
So
hat Bundespräsident Horst Köhler in seiner Rede zum
8. Mai 2005 dazu aufgefordert, alle Opfer des Zweiten Weltkrieges
ins historische Gedächtnis mit einzubeziehen, nämlich
die Opfer der Gewalt, die von Deutschland ausging, und
[
] die Opfer der Gewalt, die auf Deutschland zurückschlug:
Wir
gedenken des Leids der Zivilbevölkerung in allen Ländern.
Wir gedenken der in deutscher Gefangenschaft umgekommenen
Millionen Soldaten und der Millionen, die zur Zwangsarbeit
nach Deutschland verschleppt wurden. Wir gedenken der mehr
als eine Million Landsleute, die in fremder Gefangenschaft
starben, und der Hunderttausende deutscher Mädchen
und Frauen, die zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt
wurden. Wir gedenken des Leids der deutschen Flüchtlinge
und Vertriebenen, der vergewaltigten Frauen und der Opfer
des Bombenkriegs gegen die deutsche Zivilbevölkerung.
Und weiter: Wir haben die Verantwortung, die Erinnerung
an all dieses Leid und an seine Ursachen wach zu halten,
und wir müssen dafür sorgen, dass es nie wieder
dazu kommt. |
Zitiert
nach Wir trauern um alle Opfer, weil wir gerecht
gegen alle Völker sein wollen. Die Rede des
Bundespräsidenten zum Gedenken an das Kriegsende
vor sechzig Jahren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung
vom 9. Mai 2005, S. 8.
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Die
Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg
Kriege
bedeuten fast immer eine Katastrophe für die Zivilbevölkerung.
Soldaten in Kampfverbänden messen ihre Kräfte und
ihr Material aneinander, können angreifen, sich verteidigen
oder auch organisiert flüchten. Die unbewaffnete Zivilbevölkerung
- meist sind es Frauen, Kinder und alte Menschen - bleibt den
Gewaltakten und Willkürmaßnahmen von Angehörigen
des feindlichen Militärs oder paramilitärischer Milizen
faktisch schutz- und rechtlos ausgesetzt.
Zwar
sind die kriegsführenden Parteien gemäß
der Haager Landkriegsordnung (1907, Art. 42-56) sowie der
Genfer Konvention (1929/49) mit ihren Zusatzprotokollen
zum Schutz der Zivilbevölkerung verpflichtet. Dies
gilt für die Ehre und die Rechte der Familie, des Lebens
und des Privateigentums der Bürger. Kollektivstrafen
und Massenvertreibungen sind verboten. Evakuierungen der
Zivilbevölkerung sind nur dann erlaubt, wenn dies aus
militärischen Gründen zu ihrem Schutz nötig
ist. Doch wurden die ethnischen Säuberungen
(das heißt Massenvertreibung und -deportation) im
Europa des 20. Jahrhunderts bis hin zu dem Geschehen im
früheren Jugoslawien in den 1990er Jahren wie auch
der Völkermord an den Armeniern oder der Mord an den
europäischen Juden allesamt unter dem Deckmantel von
Kriegen oder im Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit durchgeführt. |
Autoritäre
und nationalistische Staatsführungen finden in Kriegszeiten
immer wieder strategische Argumente zur Legitimation der Vertreibung
oder Deportation unerwünschter Bevölkerungsgruppen
und Minderheiten. Der Krieg bietet ihnen zudem einen besseren
Zugriff auf die Mittel und das Personal, die nötig sind,
um Menschen massenhaft abzuschieben, zu dezimieren
oder, wie beim Völkermord, bewusst ihren Tod herbeizuführen.
Flucht
und Vertreibung der Deutschen
Die
Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel- und Südosteuropa
ist die größte ethnische Säuberung
in der neueren europäischen Geschichte. Die Zahlen sprechen
für sich:
Folgen des Zweiten Weltkrieges für die deutsche Bevölkerung
in Ostmittel- und Südosteuropa
Etwa
12-13 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene;
Rund zwei Millionen Tote.
Darunter
sind:
n
Über 500.000 deutsche Zivilisten, die 1945 aus den östlichen
Provinzen Deutschlands in sowjetische Arbeitslager deportiert
wurden.
n
Bis
zu 160.000 deutsche Zivilisten, die bereits 1944/45 aus den
deutschen Minderheitsgebieten in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien
als lebende Reparationen oft für Jahre zur
Zwangsarbeit in die Industriereviere der UdSSR abtransportiert
wurden.
n
Ca.
200.000 deutsche Zivilisten, die nach Kriegsende in Arbeits-
und Internierungslager in Polen, Jugoslawien oder der Tschechoslowakei
interniert.
In
dieser Aufstellung sind die rund 280.000 Deutschen aus Rußland
nicht berücksichtigt (so genannte Administrativ-Umsiedler),
die während des Krieges aus der Sowjetunion nach Deutschland
kamen und nach 1945 in die UdSSR zwangsrepatriiert wurden.
Auch die Deutschen aus Russland sind hier nicht mitgezählt,
die - innerhalb der Sowjetunion - zwischen 1941 und 1945 aus
ihren europäischen Siedlungsgebieten in andere Teile
der UdSSR deportiert bzw. in sowjetische Arbeitslager verbracht
wurden.
Vgl. Reichling, Gerhard, Die deutschen Vertriebenen
in Zahlen, Teil I: Umsiedler, Verschleppte, Vertriebene, Aussiedler
1940-1985, Bonn 1986, S. 25, 30, 33; Helga Hirsch, Die Rache
der Opfer. Deutsche in polnischen Lagern, Berlin 1998.
Die Zivilbevölkerung in den Ostprovinzen des Deutschen
Reiches bekam die volle Wucht des Kriegsendes besonders zu spüren.
Dort war die Zahl der Zivilisten seit 1943 noch stark angewachsen,
weil viele Frauen, Mütter und Kinder wegen der Bombenangriffe
auf die deutschen Großstädte in den vermeintlich
sicheren Osten des Reiches evakuiert worden waren.
Sie
erlebten am Ende des Krieges die Vergeltungs- und Strafmaßnahmen
der Roten Armee als Erste. In den östlichen Provinzen gingen
in diesen Monaten Hand in Hand:
n
flächendeckende Verhaftungen vermeintlicher Kriegsverbrecher
n
willkürliche Erschießungen angeblicher Diversanten
und Terroristen
n
Zwangsrekrutierung und Deportation männlicher und weiblicher
Arbeitskräfte - darunter auch 12jährige Mädchen
und 70jährige Greise - sowie eine brutale Gewalt gegen
Frauen als Kriegsbeute.
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